Europa als Patchwork
Rheinstetten. Es sei ein bisschen wie nach Hause kommen. „Ein Museum zu besuchen, in dem die Schilder auf Deutsch und Franzözisch sind, das erinnert mich ans Saarland“, sagt Annegret Kramp-Karrenbauer, nachdem sie durch das Museum für Siedlungsgeschichte im Pamina-Raum in Neuburgweier geführt wurde und sich in das Goldene Buch der Stadt eingetragen hat. Die CDU-Vorsitzende, die als Nachfolgerin von Kanzlerin Angela Merkel gehandelt wird, hat den kleinsten Rheinstettener Stadtteil als Ort für den Auftakt des Europa- und Kommunalwahlkampfs ihrer Partei gewählt. Der CDU-Stadtverband hatte sich schon vor AKKs Wahl zur Parteichefin im Dezember 2018 für einen Auftritt beworben – jetzt, im Jubiläumsjahr, in dem Neuburgweier seinen 800. Geburtstag feiert, hat es endlich geklappt.
Vor den rund 350 Bürgern aus der Grenzregion, die sich am Mittwochnachmittag auf dem Rathausplatz in Neuburgweier versammelt haben, kann die 56-jährige Saarländerin punkten mit ihrer Herkunft. Aufgewachsen in Püttlingen, nur einen Katzensprung von der französischen Grenze und 40 Autominuten entfernt vom luxemburgischen Grenzort Schengen, wo 1985 das gleichnamige Abkommen geschlossen wurde, weiß sie wie es ist, wenn das Leben in der Stadt eng verflochten ist mit dem der Bürger im Nachbarland. „Bei uns gehen Kinder jeden Tag über eine Brücke in die Schule im Nachbarland“, erzählt sie und zeichnet ein Szenario, wie es wäre, wenn die Forderung der AfD nach einem „Dexit“, also des deutschen Austritts aus der EU, Realität würde. „Wollen wir, dass dort an der Grenze wieder kontrolliert wird, dass die Schüler jeden Tag ihre Rucksäcke zur Überprüfung abgeben müssen?“ Gleichzeitig betont sie aber die Bedeutung der Grenzsicherung. Es sei wichtig, dass deutsche und französische Behörden hier gut zusammenarbeiten. „Wer sichere Grenzen nach innen will, der muss auch sichere Grenzen nach außen haben.“ Es brauche eine gemeinsame europäische Antwort auf die Frage: „Wer kommt zu uns?“
AKK ist bekannt dafür, dass sie in einigen Punkten konservativer ist als ihre Vorgängerin Angela Merkel – besonders in Sachen Migration. Eine Grenzschließung als „Ultima Ratio“ hält sie beispielsweise für denkbar, sollte es wieder zu einer Flüchtlingssituation wie im Sommer 2015 kommen. Für ihren Kurs erntet sie innerhalb der Partei nicht nur Lob: Manche befürchten, dass AKK die Christdemokraten zu weit nach rechts führt.
Aber die Zuhörer in Neuburgweier hat Kramp-Karrenbauer auf ihrer Seite. Pünktlich zu Beginn ihrer rund halbstündigen Rede fängt es an zu regnen, dennoch bleibt der Großteil – Rentner, Eltern mit kleinen Kindern, ein paar Jugendliche – bis zum Ende. Regenschirme werden aufgespannt, Einzelne retten sich unter den Sonnenschirm des benachbarten Eiscafés. Mehrmals wird applaudiert, ein Zuhörer wundert sich laut: „Kann man das lernen, so zu reden, oder muss man das einfach können?“
Heikle Themen wie Migration spielen bei AKKs Auftritt eine untergeordnete Rolle. Zwar erwähnt sie die Grenzsicherung und die Besinnung auf das „C“ im Parteinamen. Ihr eigentliches Thema aber ist Europa. Sie will werben für die Idee der Europäischen Union als Friedensprojekt, als Garant für den Wohlstand. Bei der Bewahrung dieses Friedens und des Wohlstands spielten die Städte und Gemeinden, besonders in den Grenzregionen, eine ganz entscheidende Rolle, sagt sie. „Eine Patchworkdecke zeichnet sich dadurch aus, wie fest ihre Nähte sind. Und die Nähte sind im Fall der EU die Grenzregionen.“ Damit schließt sie den Bogen zu den Kommunalwahlen, die parallel zu den Europawahlen am 26. Mai stattfinden. Wie der baden-württembergische Landwirtschaftsminister und CDU-Bezirksvorsitzende Peter Hauk, der nach der Begrüßung durch die Rheinstettener CDU-Vorsitzende Julia Kühn ein Grußwort spricht, ruft sie zur Teilnahme an den Wahlen auf und lobt die Kandidaten, die sich ehrenamtlich in Gemeinderäten engagieren: „Das ist manchmal ein ganz hartes Geschäft.“
Das, was manche an AKK als Schwäche sehen – ihre Nüchternheit, eine gewisse Zurückhaltung – wird in Neuburgweier von vielen als Stärke betrachtet. Er möge sie gerade weil sie im Rennen um den CDU-Vorsitz nicht so „martialisch“ aufgetreten sei wie ihr härtester Konkurrent Friedrich Merz, sagt Peter Schöffler aus Dobel. Außerdem finde sie „klare Worte“, so der 80-Jährige. Der 28-jährige Sebastian Gehring aus Gernsbach, seit einem Jahr Mitglied der CDU, identifiziert sich inhaltlich eher mit Friedrich Merz, bevorzugt aber Kramp-Karrenbauer als Person: „Merz war eher dazu prädestiniert, Kante zu zeigen. AKK strahlt keine Unruhe aus. Und man sieht, dass sie bürgernah ist.“
In Sachen Bürgernähe gibt sich die CDU-Politikerin in Neuburgweier alle Mühe. Sie trällert auf der Bühne mit dem Gesangverein „Marinesingers“ das Lied vom „Stern der Südsee“ und bleibt nach ihrem Auftritt, bis auch der letzte Selfie-Wunsch erfüllt ist. Nach 75 Minuten ist der Besuch vorbei, AKK verschwindet mit ihren Sicherheitsleuten vom Rathausplatz. Der Zweite Vorsitzende des Rheinstettener CDU-Stadtverbands, Andreas Rottner, ist zufrieden. Das Wetter hätte zwar besser sein können, sagt er. Von den erwarteten 800 Besuchern kamen bei Kälte und Nässe nur knapp die Hälfte. Aber letztlich sieht er die Veranstaltung als einen „absoluten Gewinn für Neuburgweier“. Julia Trauden
Bericht mit freundlicher Genehmigung der BNN
 
Bilder: Franz Gerstner